Eine Liebeserklärung an meine Schreibmaschine.
Hunter S. Thompson schrieb auf einer IBM Selectric, Robert Musil auf einer Underwood, Silvia Plath dichtete mit ihrer Olivetti Lettera 22, Alfred Hitchcock präferierte die Underwood Champion Portable und Bob Dylan eine Royal Caravan. Und ich schreibe auf einer Remington 7 Noiseless aus 1931.
Ich liebe es, wie sich das Drücken ihrer Tasten anfühlt, ich liebe ihren Klang und ihre Schrift. Und vor allem liebe ich die Tatsache, dass ich mit ihr zaubern kann.
Das Schreiben
Ich erblickte sie einst im Wohnzimmer meines besten Freundes. Er hatte sie irgendwann auf einem Flohmarkt in Genf erstanden und nun staubte sie einsam vor sich hin. Ich durfte sie ausborgen. Mittlerweile ist sie „meine“ Remington und ich werde sie wohl nicht so schnell zurückgeben.
Charles Bukowski – der Schreibmaschinen verschiedensten Typs verwendete und seiner IBM Selectric gar ein Gedicht widmete – meinte: „Mit einer Schreibmaschine ist es, als würde man durch Schlamm stapfen. Ein Computer, das ist Eisschnelllauf.“
Meine Wahrnehmung ist da bekömmlicher. Während mein Computer für mich wie eine nach allen Seiten geöffnete Plattform ist, von der aus ich konstant mit der Außenwelt in Kontakt bin, ist meine Schreibmaschine wie ein Kokon. So wie Prosa eher horizontal reist und Lyrik vertikal, ist der Computer eine horizontale Plattform und die Schreibmaschine ein vertikales Vehikel zum In-die-Tiefe-Gehen. Meine Remington ist für mich, was für Schamanen ihre Trommel ist.
Die österreichische Kinder- und Jugendbuchautorin Käthe Recheis, die prinzipiell nur auf der Schreibmaschine dichtet, meinte in einem Radio-Interview*, ihre Finger wüssten automatisch, wo jede Taste wäre und deshalb könnte sie sich ganz auf den Inhalt konzentrieren. Bei mir ist das umgekehrt. Ich muss mich recht bemühen, damit ich mit meinem Zwei-Finger-System die Tasten überhaupt treffe und mich nicht vertippe. Auf diese Weise ist mein Hirn beschäftigt und der Zugang zum geheimen Ort, an dem Kunst entspringt, der geheimen Quelle, aus der die Worte sprudeln, ist frei.
Sobald meine Finger die Tasten berühren, sind meine Sinne geschärft, ein Zugang zu einer mir unbekannten Welt öffnet sich. Meine Schreibmaschine hilft mir, das Verborgene einzufangen – auch wenn ich eigentlich gar nicht weiß, was das genau ist.
Dies bringt mich zu Friedrich Nietzsche. Dieser nutzte 1892 für einige Zeit eine sogenannte Schreibkugel; auf ihr verfasste er Briefe und heitere 2- und 4-Zeiler, die der Medienwissenschaftler Stephan Günzel und der Leiter des Kollegs Friedrich Nietzsche der Klassik Stiftung Weimar, Rüdiger Schmidt-Grépály, im Jahr 2002 publizierten.
„Nietzsches Schreiben hat sich durch den Umgang mit der Maschine gewandelt,“ heißt es dazu im Vorwort. „Nicht nur musste er sich aufgrund der veränderten technischen Voraussetzungen kürzer fassen – was ihn nicht zuletzt dazu verleitete, vermehrt Gedichte zu produzieren – auch lagen ihm seine Texte nun in der ›Druckansicht‹ vor. Durch die Maschine präzisierte sich Nietzsches Schreiben, wie es zugleich geschmeidiger wurde.“
Die Ästhetik
Für mich ist das geschriebene Wort die Materialisierung unserer Gedanken. In gewisser Weise ist ein Text wie ein Gemälde, ein Foto, eine Skulptur. Eine Manifestation innerer Bilder.
Deshalb ist für mich das Zusammenspiel aus dem Schreibgerät, dem Akt des Schreibens, der Typographie, Grammatik und Rechtschreibung auch so wichtig. Man stelle sich nur ein Rilke Gedicht in der Schriftart Comic Sans und voller Rechtschreibfehler vor … geht gar nicht! Nur die stimmige Kombination aus den genannten Faktoren bringt Gedanken so richtig zum Atmen. Nur in harmonischer Einheit mit seiner Form kann der Inhalt eines poetischen Textes glänzen.
Meine Remington glänzt ebenfalls. Sie ist schön. Und sie hat etwas Behagliches, Zauberhaftes, Ehrliches, Reales in ihrer Angreifbarkeit. Jeder Schritt – das Einspannen des Papiers, das Tippen, das Betätigen des Hebels für den Zeilenumbruch, alles ist ein sinnliches Erlebnis.
Auch ihr Klang beglückt mich. Und er wirkt offenbar entspannend. Ein junges Pärchen kam einmal nach einem Schreibmaschinen-Live-Auftritt zu mir und schwärmte, dass die Migräne, die beiden den ganzen Tag zu schaffen gemacht hatte, nun weg war. Und vielleicht wäre Schreibmaschine-Schreiben auch eine gute Methode mit Stadt- und Baustellenlärm umzugehen, frei nach Max Frisch in seiner Erzählung Montauk: „Wenn ich an der Schreibmaschine sitze, stören mich die klopfenden Arbeiter nicht, im Gegenteil: wir arbeiten.“ Für Max Frisch war das Schreiben mit Schreibmaschine geradezu eine Obsession. Als ihn der Publizist Heinz Ludwig Arnold fragte: „Gibt es Glücksgefühle beim Schreiben, an der Schreibmaschine?“ antwortete er: „Die größten, die es gibt, ja.“
Etwas, das bleibt.
Die Sehnsucht nach wahrer Bedeutsamkeit, nach etwas, das bestehen bleibt, ist nach wie vor groß. Einen maschinengeschriebenen Text, ein maschinengeschriebenes Gedicht auf hochwertigem Papier kann man lesen, so oft man will, angreifen, aufhängen, verschenken.
Und das ist nur einer der Gründe, weshalb die Faszination mit der Schreibmaschine für mich mehr ist als ein Symptom für die Vintage-Verliebtheit der Hipster-Szene.
Zahlreiche Schriftsteller können sich mit dem Computer als Arbeitswerkzeug einfach nicht anfreunden. Paul Auster etwa schreibt seit 1974 auf einer Olympia und hat so eine tiefe Bindung zu ihr, dass er meint, „ihren Herzschlag vernehmen“ zu können. Und er hat ihr ein Buch gewidmet (The Story of My Typewriter, mit dem Illustrator Sam Messer).
Es muss auch unglaublich viele Menschen geben, die immer noch im Alltag Schreibmaschine schreiben. Das schließe ich aus folgender Begebenheit: Als ich in einem traditionsreichen Papierwarengeschäft in Wien nach einem Farbband fragte, erwartete ich, dass es aus dem hintersten Winkel eines fernen Lagerraums hervorgeholt werden musste. Doch der Verkäufer hatte gleich eines zur Hand. „Wir verkaufen die jeden Tag,“ meinte er. Wow! Und ich habe es noch nicht einmal gebraucht! Ich weiß gar nicht, wie alt das Farbband ist, das aktuell in meiner Remington wohnt. Es funktioniert immer noch prächtig; an einem Ende angekommen spule ich es wieder zurück und verwende es noch einmal. Das nenne ich Nachhaltigkeit.
Firmen wie etwa Remington haben sich längst auf Haarbändigungsgeräte spezialisiert
und die Produktion von neuen Schreibmaschinen ist ein Nischengeschäft. In Deutschland bzw. im Online-Versand sind neue Modelle verschiedenster Marken erhältlich, doch ihre Ästhetik hat nichts mehr mit jenen Zaubergeräten zu tun, die viele von uns immer noch fesseln.
Ich wünsche allen noch existierenden Modellen noch ein langes Leben und Menschen, die sie liebevoll behandeln.
* Großen Dank an Matthias Haydn, dessen Radio-Feature “Unser Schreibzeug arbeitet mit an unseren Gedanken” mich auf die Idee für diesen Text gebracht hat.